Mainzer Erklärung zum Jugendstrafrecht

Augenhöhe – Phantasie – Konsequenz

  1. Das geltende Jugendstrafrecht bietet eine hervorragende Grundlage für flexible, einzelfallbezogene und nachhaltig wirksame Interventionen. Da es nicht auf „Milde“ ausgerichtet ist, bedarf es auch keiner „Verschärfung“. Die generalpräventive Wirkung längerer Haftstrafen ist empirisch widerlegt, spezialpräventiv haben sie sogar einen negativen Effekt.
  2.  Die mehrheitliche Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende ist richtig. Die „Jugendzeit“ ist nicht kürzer, sondern länger geworden, weil sich die gesellschaftlichen Anforderungen sozialer Integration erhöht haben und deshalb durchschnittlich erst in einem höheren Alter erreicht werden.
  3. Auch für eine schnelle Reaktion auf Straftaten Jugendlicher bietet das geltende Jugendstrafrecht eine geeignete gesetzliche Grundlage. Der ehemalige Direktor des Amtsgerichts Rüsselsheim und Jugendrichter Bernd Diedrich hat sie in seinem „Rüsselsheimer Modell“ über viele Jahre erfolgreich genutzt.
  4. Bei der Reaktion auf Straftaten Jugendlicher geht es nicht um „Härte“ oder „Milde“, sondern darum, zur richtigen Zeit das Richtige zu tun. Wer früh, konsequent, aber phantasievoll interveniert, erreicht mit wenig viel. Verantwortungsverweigerung in Form von Wegsehen, laissez faire und/oder formalisierter Erledigungsroutinen führt hingegen zu Enttäuschungen bei allen Beteiligten und provoziert am Ende strafrechtliche Überreaktionen.
  5. Bei der Auswahl der Interventionsmaßnahmen gilt: Was für den einen Jugendlichen richtig ist, kann für den anderen völlig falsch sein. Nötig ist daher eine fundierte kriminologische Interventionsplanung, bei der die kriminologisch relevanten Stärken und Schwächen des jeweiligen Jugendlichen herausarbeitet werden. Die Methode der idealtypisch-vergleichenden Einzelfallanalyse (MIVEA) hat sich dafür in der Praxis bewährt.
  6. Interventionsmaßnahmen müssen den einzelnen Jugendlichen im Kern seiner Persönlichkeit erreichen. Das geht nur, wenn er auf gleicher Augenhöhe als Subjekt ernst genommen wird, wenn mit ihm gearbeitet wird (also weder gegen, noch für ihn) und er nicht zum Objekt pädagogischer Bemühungen und jugendstrafrechtlicher Maßnahmen degradiert wird.
  7. Für diesen Ansatz gibt es eine ganze Reihe praxiserprobter pädagogischer Modelle und Techniken (wie z. B. die „Konfrontative Pädagogik“, den „Provokativen Stil“, die „Positive Jugendkultur“ („positive peer culture“), „jugendliche Selbsterziehung“ („peer education“), die z. B. im Anti-Aggressivitäts-Training (AAT®) und Konfrontativen Sozialen Training (KST®) seit Jahren erfolgreich angewandt werden.
  8. Nicht die gesetzlichen Grundlagen des Jugendstrafrechts müssen verbessert werden, sondern Ausbildung und Kooperation aller mit straffälligen Jugendlichen befassten Personen und Institutionen.