Anti-Aggressivitäts-Training (AAT®)
Der Karlsruher Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Landau formuliert:
„Ich halte das Anti – Aggressivitätstraining für eine wichtige Maßnahme im Umgang mit Gewalttätern und habe mich immer dafür eingesetzt, dass es als Sanktion in der Rechtsprechung Berücksichtigung findet“.
Das Anti-Aggressivitäts-Trainings (AAT) wurde 1987, u.a. vom Verfasser, in Deutschland begründet und eingeführt. Beim AAT handelt es sich um eine delikt- und defizitspezifische Behandlungsmaßnahme für aggressive Intensivtäter. Die Trainingsdauer dieses lerntheoretisch begründeten, Speziellen Sozialen Trainingsprogramms beträgt 5 bis 6 Monate bei einer mehrstündigen Gruppensitzung pro Woche, u.a. auf dem „heißen Stuhl“, flankiert von einfühlsamen Einzelgesprächen und Freizeitaktivitäten, die dem Beziehungsaufbau, der Grundlage für dieses Trainingsprogramm, dienen. Die curricularen Eckpfeiler, die in dieser Zeit mit den Probanden bearbeitet werden, sind:
- die Analyse der Aggressivitätsauslöser,
- die Provokationstests,
- die Analyse von Ideal- und Realselbst,
- die Neutralisierungstechniken,
- die Opferkommunikation,
- die Aggressivität als Vorteil,
- die Subkultur Analyse sowie
- die Fragen zur strukturellen Gewalt, die die Aggressivität beim Probanden fördern.
Das AAT findet auf richterliche Weisung nach § 10 JGG oder als Resozialisierungsmaßnahme zum Beispiel im Jugendvollzug statt. Voraussetzung sind wiederholte Verurteilungen wegen gefährlichen und schweren Körperverletzung bis hin zu Tötungsdelikten. 1987 wurden 7 Intensivtäter vom ersten deutschen AAT-Team, dessen Mitglied der Verfasser war, behandelt. Heute werden über 3000 aggressive Menschen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und in Kürze auch Luxemburg behandelt. Durch das Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS), die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und Mannheim und das Deutsche und Schweizer Institut für Konfrontative Pädagogik (IKD) wurden seit 1994 über 1000 Sozialpädagogen, Psychologen, Juristen und Lehrer als AAT–Trainer zertifiziert. 50% der Zertifizierten sind Frauen. Die Zertifizierung ist standardisiert und beim Deutschen Marken- und Patentamt geschützt. Das in der Sozialbranche unübliche Schützen des Begriffs AAT® durch das ISS/ IKD hat seinen Ursprung in Qualitätsinteressen. Auslöser des Markenschutzes waren Mitte der neunziger Jahre negative Erfahrungen mit Praktikern, die allen Ernstes AAT Kurse an einem (!) Wochenende anbieten wollten, um sich die üblichen 6 Monate intensiver Arbeit zu ersparen. Ihnen waren für diese short-version öffentliche Gelder genehmigt worden. Die damit einhergehenden eklatanten Qualitätsverluste schien die Kollegen wenig zu stören. Ein so verunstaltetes AAT/CT hätte binnen kurzer Zeit seine Reputation eingebüßt. Darauf erfolgte der Markenschutz. Seit dem können Anbieter, die den Qualitätsstandards nicht gerecht werden, durch die Rechtsabteilung des ISS und IKD abgemahnt werden.
Das AAT als ultima ratio: die Reduzierung von Haftstrafen durch Tatkonfrontation
Tatkonfrontation war in der Ursprungsversion des AATs nicht vorgesehen. Vielmehr wollte das AAT 1987 gemeinsam mit den Probanden primär das Verhältnis von Biografie-Erfahrungen zum gewalttätigen Verhalten analysieren, in dem etwa der Zusammenhang zwischen einem aggressiven Vater und der eigenen Aggressivität beleuchtet wird. Die Resonanz der Intensivtäter auf dieses Vorgehen war negativ: „Meine Familie geht Sie nichts an“ oder „Lasst meinen Vater in Ruhe“ oder „so’n Psychogerede kannst Du Dir sparen“, waren typische abwehrende Kommentare der Schläger. Als bei den Gruppen-Sitzungen aber die Tat angesprochen wurde, sprudelten die jungen Männer ihre Legendenbildungen nur so heraus. Schlägereigeschichten waren ihr Metier. Sie fühlten sich wohl im story telling, auch wenn die Tatschilderungen sehr zu ihren Gunsten geschönt waren. Als wir dieses „Schönreden von Gewalt“ in den Sitzungen kritisierten, wurde bei und mit den aggressiven jungen Männern Dynamik, Leidenschaft und Begeisterung geweckt, eine wahre Realitäts-Disputation entstand. Aus der Verfeinerung dieser ersten Tatgespräche entwickelte sich die Praxis des heißen Stuhls, auf dem Straftaten in systematischer und geordneter Form ins Kreuzfeuer der Kritik genommen werden.
Tatkonfrontation heißt im erziehungswissenschaftlichen Sinne aggressive Intensivtäter dort abzuholen, wo sie stehen. Wo das ist, das lässt sich aus tausenden von Einzelgesprächen ableiten, die der Verfasser und die AAT-ProjektleiterInnen in über 20 Jahren geführt haben. Diese Gespräche wurden mit Hooligans, Skin-Heads, deutschen, türkischen oder russlanddeutschen aggressiven Intensivtätern geführt. Diese jungen, heranwachsenden und erwachsenen aggressiven Menschen lieben, so ihre Selbstthematisierungen, die Action, den Thrill und die damit verbundenen konfrontativen Auseinandersetzungen. Die Konfrontation scheint den Intensivtätern daher vertraut, nicht aber den Professionellen der Sozialen Arbeit und Erziehungswissenschaft. Den geisteswissenschaftlich geprägten Professionellen, sowie dem dahinter stehenden (auch aus meiner Sicht grundsätzlich richtigen) theoretischen Verständnis der Sozialbranche, wie er etwa im bedeutenden Ansatz der Lebensweltorientierung zum Ausdruck kommt, ist der konfrontative Gedanke fremd. Das Professionalitätsverständnis vom „Anwalt des Kindes“ oder bezogen auf unser Thema, „vom Anwalt des Intensivtäters“, beißt sich in seinem oft bedingungslosen Hilfeverständnis mit der im AAT verlangten Perspektive der Tatkonfrontation, die grundsätzlich unterstellt, dass hier nicht primär der Hilfebedarf im Vordergrund steht, sondern das delinquente Fehlverhalten, das es in Frage zu stellen gilt. Aus Sicht des Verfassers reichen Hilfe und Verstehen bei Intensivtätern nicht aus, genauso wenig wie eine Tatkonfrontation mit den Opferfolgen alleine im Behandlungsprozess nicht ausreichend erscheinen kann. Entsprechend soll dieser Beitrag als ein sowohl-als auch verstanden werden, nicht als ein entweder-oder! Aus Sicht des Verfassers erleichtert ein konfrontativer Zugang die Kommunikation mit der Zielgruppe der Intensivtäter, solange eine vertrauensvolle professionelle Beziehung geschaffen werden konnte. Die verbale Konfrontation mit der Aggressionstat, mit den Rechtfertigungsstrategien und dem Opferleid kann gelingen, denn sie wird von den behandelten Intensivtätern, so das hundertfache Feedback in den Einzelgesprächen, als dynamisch, spannend und erkenntnisreich empfunden.
Quelle: Weidner,J.: Das Anti-Aggressivitäts-Training (AAT®) in der Konfrontativen Pädagogik: lerntheoretische Grundlagen und Forschungsergebnisse zur Behandlung gewalttätiger Intensivtäter in: Weidner,J./Kilb,R. (Hg.): Handbuch Konfrontative Pädagogik. Juventa Verlag 2011