AAT Jahresauswertung 2002

„Ich dachte, ich wäre toll…“

Rainer Kilb, Jens Weidner

Eine Evaluation zum Anti-Aggressivitäts- und Coolness- Training

Seit Jahren besteht eine ungebrochen große Nachfrage am Erlernen des Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Trainings in der berufsbegleitenden Zusatzausbildung des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS). Mittlerweile sind ca. 200 Sozialpädagogen, Soziologen, Psychologen und Lehrer als AAT/CT – TrainerInnen zertifiziert. Ein Grossteil  von ihnen praktiziert die Methode in ihrem jeweiligen Berufsfeld. 100 weitere Professionelle der Sozialen Arbeit befinden sich gegenwärtig in Ausbildung. Erfreulich für die lizensierten Praktiker ist das Resümee vieler Jugendliche nach Abschluss der Trainingskurse. Nahezu übereinstimmend berichten sie, dass „so mit ihnen noch nie gesprochen und gehandelt“ wurde, dass sie gelernt haben, sich ihrer Tatverantwortung bewusst zu werden und  diese zu übernehmen. Das stimmt hoffnungsvoll.

Anti-Aggressivitäts-Trainings (AAT) und Coolness-Trainings (CT) basieren auf einem lerntheoretisch-kognitiven Paradigma. Die lerntheoretischen Aspekte konzentrieren sich auf den konkreten Umgang in Konfliktsituationen, etwa im Rahmen von individuellen Provokationstests oder bei der Analyse von Aggressivitäts-Auslösern (angelehnt an die systematische Desensibilisierung). Die kognitive Perspektive zielt auf eine Einstellungsveränderung der Gewalttätigen insbesondere in Bezug auf Opferempathie ab.

In Deutschland wurde das AAT 1986 durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe in der Jugendanstalt Hameln, in Abstimmung mit dem niedersächsischen Justizministerium implementiert. Zentrale curriculare Behandlungsbausteine stellen dabei das Ideal- und Realselbst der Gewalttätigen, deren Rechtfertigungsstrategien (Neutralisierungen), die individuellen Aggressivitätsauslöser, die Opferperspektive, die individuellen Provokationstests, der Einfluss der Subkultur sowie Aggressionsverstärkungen durch Instanzen sozialer Kontrolle (vgl. Weidner 1993, Weidner/ Kilb/ Kreft 1998, Heilemann 1994) dar. Dominierender methodischer Zugang ist ein konfrontativ-provokativer Gesprächsstil, incl. des sogenannten „heißen Stuhls“. Basis dieser Arbeit ist eine tragfähige Beziehung mit dem Probanden.

Die Erstausrichtung des AATs auf den geschlossenen Jugendvollzug in den achtziger Jahren, hat sich zwischenzeitlich stark in den ambulanten und auch in den nicht-justiziellen Bereich hin erweitert:

  • Im JGG-Bereich, in der Bewährungshilfe und den sozialen Trainingskursen, im Umfeld des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA) und sonstigen Arbeitsfeldern der Jugendgerichtshilfe.
  • Im Maßregelvollzug.
  • Im Jugendhilfebereich in der Jugend- und Jugendsozialarbeit, der aufsuchenden Jugendarbeit/Streetwork, der Hortarbeit sowie im ambulanten und stationären Bereich von Hilfen zur Erziehung (§ 27 ff KJHG) –      Im schulischen Bereich besonders in Sonder-, Hauptschulen und Schulen für Erziehungshilfe.

1. Zur Evaluation von AAT/ CT im Jahre 2001: deutschlandweit 88 Projekte mit 952 Probanden

Gerade durch die Neueinführung der Methode ist eine gezielte wissenschaftliche Begleitung und Anwendung wichtig zur Qualitätsentwicklung und zur Analyse von Wirkungen. Eine Evaluation der Umsetzungsentwicklungen wird seit 1999 jährlich einmal von ISS Frankfurt am Main durchgeführt. Es werden dabei nur Institutionen berücksichtigt, deren MitarbeiterInnen nach den ISS-Qualitätsstandards ausgebildet sind und die sich bereit erklären, nach diesen die Maßnahmen durchzuführen. Die hier vorliegenden Daten beziehen sich auf die Strukturen im Jahre 2001. Die Evaluation umfasst vier Bereiche: Wirkungen und Qualität der Angebote, Zielgruppenprofile, institutionelle Kontextbezüge und Professionalitätsdimensionen der TrainerInnen.

Insgesamt wurden 2001 36 von 88 Projekten (n=36), im Vergleich zum Vorjahr die doppelte Projektanzahl, ausgewertet (2000: n =18).

Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Training befinden sich in ihren praktischen Anwendungsdimensionen heute nicht mehr in der Einführungsphase, sondern haben sich in zahlreichen Städten und Landkreisen längst etabliert. Die Trainings wurden dabei von den AnwenderInnen weiterentwickelt und in ihren Anwendungsformen ausdifferenziert. Ein Viertel der Projekte können mittlerweile auf größere Erfahrungswerte verweisen (mehr als 10 durchgeführte Kurse, mehr als 7-jährige Anwendungspraxis). Einige wurden zwischenzeitlich mehrfach wissenschaftlich ausgewertet, sodass jetzt von einer Konstituierungsphase gesprochen werden kann, deren experimenteller Charakter aber nach wie vor durch die zahlreichen neu ausgebildeten TrainerabsolventInnen und die neu entwickelten Anwendungsfelder anhält.

Aber gerade auch das Schwergewicht an durchgeführten Informationsveranstaltungen (2001:110/ 2000: 73/ 1999: 54) und Multiplikatorenschulungen (52/ 65/ 10) mit mehr als 4400 TeilnehmerInnen belegen das immer noch große Missverhältnis zwischen Nachfrage- und Angebotssituation. Im Bereich der sekundären Prävention – zumeist im schulischen Bereich – wurden 2001 insgesamt 32 (20/11) Coolness-Trainings mit 577 (332/135) TeilnehmerInnen, im Bereich der tertiären Prävention (Justiz) 56 AAT-Maßnahmen (28/11) mit 375 (167/65) Teilnehmern durchgeführt. Insgesamt wurden damit 952 (499/200) Jugendliche in ganz verschiedenen pädagogischen Settings mit dieser Methode betreut, eine Steigerung gegenüber dem Jahr 2000 von 91%, beim AAT sogar von 125%

Auffallend, aber zu erwarten, war bei der Klientelstruktur nach wie vor die mit 73 % (2000: 72%/ 1999: 89%) große Dominanz junger Männer. Im Bereich der AAT-Anwendung gehören mit 6% erstmals auch Mädchen und junge Frauen zur Klientel. In den Jahren zuvor bestanden die Teilnehmergruppen hier ausschließlich aus männlichen Personen. Die hierbei gestellte Frage, ob diese Struktur der Täterzielgruppe repräsentativ ist oder ob die konfrontative Methodik in den Maßnahmen eine betont männlichkeitsorientierte Form darstellt, die für weibliche Klienten inadäquat ist, wird damit tendenziell zugunsten der ersten Annahme beantwortet. Dies bestätigen auch Rückmeldungen verschiedener mit weiblichen Gewalttätern arbeitende AAT-Trainerinnen, die das AAT in Mädchengruppen (etwa im Wohngruppen-/Heimbereich) praktizieren.

Betrachtet man die TeilnehmerInnen nach Altersgruppen, so dominieren insgesamt mit 45% die jüngeren Jugendlichen (14-17J.) vor den Kindern (30%) und den 18-20jährigen. Differenziert nach Trainingsformen stellen beim Coolnesstraining die Kinder (47%) und jüngeren Jugendlichen (53% 14-17jährige) die stärkste Gruppe dar. Bei der AAT-Anwendung bilden mit 41% die 18-20jährigen (2000: 46%) sowie die 14-17jährigen mit 33% (2000: 31%) die größten Gruppen.

Insgesamt 34% (2000: 24%/ 1999: 36%) der Klientel sind nichtdeutscher Staatsangehörigkeit, 8% (5%) stellen die aus Osteuropa immigrierten Aussiedlerdeutschen. In der AAT-Anwendung stellen Migrantenjugendliche mit 41% bei den ausländischen und 6% bei den Aussiedlern erstmals nahezu die Hälfte der Adressaten; bei den 18-20jährigen sind sie mit 61% sogar in der Mehrzahl. Im eher präventionsorientierten Coolnesstraining werden aber lediglich 39% angesprochen. Diese Tendenzen finden sich ähnlich bei den Zugängen zu den Erzieherischen Hilfen wieder. Auch hier dominieren Migrantenjugendliche bei den familienersetzenden Angeboten (Heime, Wohngruppen), bei den eher präventiv ausgerichteten ambulanten Maßnahmen sind sie im Vergleich zu ihren Bevölkerungsanteilen dagegen unterrepräsentiert.

Die TeilnehmerInnen sind von ihrem schulischen und beruflichen Status her breit gestreut. Es dominieren mit 47% die Hauptschüler (2000: 31%/1999: 36%) vor den Sonderschülern (2001: 14%/ 2000: 9%), den Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeitern mit 9% (8%/ 7%), den Auszubildenden mit 7% (7%) und den Realschülern mit 6% (7%). Im Vergleich zur gesamtgesellschaftlichen Streuung sind Haupt- und Sonderschüler sowie Arbeitslose über-, Gymnasiasten (3%), Realschüler und Berufstätige (5%) unterrepräsentiert. Gegenüber den letzten Jahren gab es bei den Zielgruppen des AAT/CT eine Verschiebung in Richtung der eher benachteiligten und statusniedrigeren Bildungs- und Berufsgruppen.

Hintergründe einer Maßnahme waren bei 63% (2000: 73%/ 1999: 65%) ein Straftatbestand wegen körperlicher Gewaltanwendung, bei 24% (24%/ 16%) unsoziales Verhalten in einer Institution. Der Gewaltstraftatbestand dominiert mit 88% noch einmal stärker bei den AAT-Absolventen, die institutionsbezogenen Auffälligkeiten mit 77% bei den TeilnehmerInnen der Coolness-Trainings.

Die AAT/CT-Maßnahmen werden lediglich von 2% (15%) der Teilnehmer aus eigenem Antrieb heraus gewählt. Der häufigste Zugang, und dies ist die gravierendste Veränderung zu 2000, erfolgt mit 35% (15%) über die eigene Einrichtung, d.h. das AAT/CT wird immer mehr zum integrierten methodischen Bestandteil von Einrichtungen wie der Jugendgerichtshilfe, den erzieherischen Hilfen nach KJHG (§§27 ff.) und der Schulen. 29% Zugänge finden über richterliche Auflagen (60%/ 56%), 20% (5%) über Anfragen einer anderen Institution und mittlerweile 10% über Maßnahmen der Erziehungshilfe nach KJHG § 27ff. (6%) statt.

Nach Trainingsformen differenziert betrachtet überwiegen beim Coolnesstraining die Zugänge aus der eigenen Institution (54%), anderen anfragenden Institutionen (31%) und durch den Allgemeinen Sozialen Dienst als Maßnahme der Erziehungshilfe, beim AAT sind die richterlichen Auflagen mit 63% nach wie vor dominierend.

Zusammenfassend lassen sich drei Trends feststellen:

  • Bei den Teilnehmerstrukturen stellen sich die AbsolventInnen des eher präventiven Coolnesstrainings jünger und geschlechtergemischter dar. Die AAT-Klienten sind größtenteils männlichen Geschlechtes, älter, gehören eher schlechter ausgebildeten Milieus an und sind eher nicht primär motiviert, mit dem AAT zu beginnen, sondern werden meist über eine richterliche Auflage an die Maßnahmenträger vermittelt. Jugendliche mit Migrationserfahrungen (Ausländer, Aussiedler) sind beim AAT und insbesondere in der Altersgruppe der Heranwachsenden sehr stark vertreten.
  • Die letztjährige Verdoppelung der TrainingsteilnehmerInnen in den AAT- und CT-Angeboten deutet auf ein zunehmendes Interesse von Fachkräften und den pädagogischen Institutionen an der Methode, möglicherweise auch schon auf ein gewisses Vertrauen in diese hin.
  • Die Methode wird zunehmend zum festen methodischen Bestandteil verschiedener Institutionen insbesondere auch in den relativ neuen schulischen Feldern und der Erziehungshilfe

2. Zum institutionellen Rahmen: von der Jugendstrafrechtspflege zum schulischen Bereich

Die Maßnahmen werden 2001 etwa zur Hälfte (45%) von öffentlichen, zu einem Drittel von freien Trägern angeboten. Selbständige TrainerInnen oder Kleinteams halten mittlerweile 21% der Angebote vor. Die Angebote werden etwas häufiger in der eigenen Einrichtung (45%), mit 36% weniger oft extern durchgeführt.

Angebotsort, Setting und institutioneller Kontext sind breit gestreut und haben sich im letzen Jahr immer mehr von der Jugendstrafrechtspflege (JGH, Sozialer Trainingskurs, Bewährungshilfe, JVA) hin zum schulischen Bereich – hier insbesondere Haupt- und Sonderschulen  –  und den Erziehungshilfen hin verschoben. Es dominieren mit 27% (18%/ 13%) die Anwendung vor allem vom Coolness-Training innerhalb der schulischen Felder vor den Sozialen Trainingskursen (16%/ 2000:25%/ 1999: 25%), der Jugendgerichtshilfe (11%/ 18%/ 19%), den stationären Erziehungshilfen (11%/ 7%), der Bewährungshilfe (9%/ 7%/ 13%) und der Arbeit im Vollzug (8%/ 7%). Weitere Anwendungsbereiche stellen mit 6% die Mobile Jugendarbeit und mit jeweils 5% die Offene Jugendarbeit und ambulante Erziehungshilfemaßnahmen dar.

Die Maßnahmen sind mittlerweile relativ gleich zu jeweils einem Drittel direkt oder im Randbereich originärer pädagogischer Handlungsfelder platziert oder aber sie finden in einem ganz eigenen institutionellen Rahmen statt. Die anfängliche Skepsis gegenüber ihrer Implementierbarkeit in bestehende Institutionen und Systeme findet sich in den Ergebnissen nicht mehr bestätigt. 90% der AnwenderInnen charakterisieren diese als gut integrierbar.

Die Abbruchquoten pendeln sich mittlerweile bei unter 13% der AAT-Teilnehmer ein und sind damit geringer als in den Jahren vorher (13,8%/ 17,9%). Die Gründe für Abbrüche häufen sich im motivationalen Bereich und damit vermutlich in Verbindung stehend bei Regel- und Abspracheverletzungen. Ansonsten spielen eher individuelle Aspekte wie etwa mangelnde kognitive Fähigkeiten, das Gefühl des „Nicht-Ertragen-Könnens“ oder aber erneute Straffälligkeit, Bewährungswiderruf oder Nichterfüllen einer sonstigen Auflage eine Rolle.

3. Zur Definition von Erfolgskriterien durch die Projektleiter

Die zertifizierten TrainerInnen definierten für die diversen Anwendungsfelder verschiedene Kategorien von Erfolgskriterien, die sich nach den 3 klassischen Qualitätsdimensionen von Ergebnisqualität, Struktur- und Prozessqualität differenzieren lassen. Im Bereich der ergebnisbezogenen Qualität (outcome) werden als Erfolgskriterien genannt:

  1. Legalbewährung;
  2. Reduzierung gewalttätig-aggressiven Verhaltens (Reduzierung von Körperverletzungsdelikten);
  3. Gehäuftes Anwenden alternativer, friedlicher Konfliktlösungsstrategien;
  4. Gewaltfreier Umgang in Stresssituationen;
  5. Distanzierung von Schlägergruppierungen;
  6. Bessere Gruppenkohäsion in Schulklassen (CT).

Im Zusammenhang der Prozessgestaltung und Maßnahmendurchführung werden folgende Qualitätskriterien beschrieben:

  1.  Einsicht in die eigenen Konfliktanteile;
  2. Bewusstmachung und Verantwortungsübernahme bei der Tat;
  3. Entwicklung von Opfermitleid und Scham/Empathiefähigkeit;
  4. Beschäftigung mit den Opferfolgen und Aggressivitätsauslösern;
  5. Teamfähigkeit.

 

Prozessuale Verhaltensänderungen zeigen sich durch:

  1. Wandlung von sekundärer Motivation (Druck/ Zwang) hin zur Selbstmotivation;
  2. Durchhalten zweier „Heißer Stühle“
  3. Bewährungserhalt (§ 57 JGG);
  4. Regelmäßige Teilnahme und Beendigung;
  5. Auflösung von Tatrechtfertigungen, Nutzenanalyse;
  6. Entwicklung persönlicher biografischer Ziele.

Zuletzt wurden noch strukturelle Qualitätskriterien ergänzt wie etwa ein funktionierendes Trainer-/Cotrainerteam.
Alle augenblicklich praktizierende Angebotsträger führen, entsprechend der von ihnen benannten qualitativen Kriterien, Recherchen zu den Wirkungen der Trainingsmaßnahmen durch. Die dabei am häufigsten verwendeten Formen sind mit 81% die systematische Klientenbeobachtung (86%/ 55%) und mit 67% (63%/ 82%) regelmäßige Gespräche mit klientennahen Begleitpersonen wie den Eltern, Sozialarbeitern oder Lehrern. Hierzu wird schon im Vorfeld der Maßnahme bei der Vertragsgestaltung zwischen Maßnahmeanbietern und Klient auf eine Schweigepflichtsentbindung hingearbeitet. Bei etwa der Hälfte der Maßnahmen werden regelmäßig Gespräche mit den Teilnehmern nach Trainingsablauf durchgeführt (47%/ 36%/ 64%). In 39% der Fälle findet eine Evaluation mit Hilfe eines Fragebogens statt. Die Tatsache, dass nach wie vor sämtliche Projekte Wirkungsrecherchen durchführen steht für deren Offenheit und Entwicklungsbereitschaft.

4. „…darüber habe ich noch nie geredet…“: Betroffenen – Rückmeldungen zum Stellenwert der Maßnahme

Die Rückmeldungen, die von den Klienten sowie deren sozialen und institutionellen Umfeld eingeholt wurden, lassen sich auf die von den TrainerInnen definierten Erfolgskriterien direkt beziehen. Die Klientenrückmeldungen zielen einerseits auf die primären Wirkungsziele (outcome) einer Verhaltensänderung, das heißt sie melden häufiger zurück, sie seien weniger reizbar und eher selbstbeherrscht bzw. sie verurteilten Gewalt (53%), sie könnten sich besser in Konflikten steuern oder sie verfügten über alternative Verhaltensmöglichkeiten in Stresssituationen (15%); man könne sich jetzt besser selbst orientieren, fühle sich selbstbewusster, ernster genommen und insgesamt wohler, man sei in die eigene Familie besser eingebunden und größere Anerkennung im Umfeld folgen als Angaben zu sekundären Wirkungseffekten. Das Training zwinge zum Nachdenken, es sei eine Art Selbsterfahrung, man erinnere sich häufig zurück, aber auch das Eingeständnis, dass man ohne (vom Richter) gezwungen worden zu sein, nicht mitgemacht hätte, waren andere Rückmeldungen. Die Aussagen zahlreicher Jugendlicher „so hat noch nie einer mit mir geredet“, „…so etwas hat noch nie jemand zu mir gesagt“, „darüber habe ich noch nie geredet“ und „ich dachte, ich wäre toll…“ spiegeln einen Gesamttenor der jugendlichen Rückmeldungen wider und sind in zwei Richtungen hin deutbar:

  1. Die Form, wie mit den Jugendlichen „geredet“ wird, besitzt für sie offensichtlich einen wichtigen Stellenwert. Diese Jugendlichen haben bisher offensichtlich auch professionelle pädagogische Reaktionen als eher gleichgültig erlebt.
  2. Die Aussage wäre darüber hinaus im Sinne eines verantwortlichen Umgangs der TrainerIn mit dem Täter zu interpretieren. Der Täter fühlt sich ernst genommen, in seiner Person deshalb akzeptiert, weil der TrainerIn seine Tat eben nicht gleichgültig ist. Die übliche Reaktionspalette auf eine Gewalttat, nämlich dass die Eltern meist Angst vor den Tatfolgen für ihren Sohn äußern, die jugendlichen Freunde und Täter selbst eher sauer auf den Prozess der Anzeige und des gerichtlichen Verfahrens sowie darüber hinaus teilweise aggressiv auf das Opfer als Initiator der Anzeige reagieren und zuletzt zahlreiche SozialpädagogInnen sich des dann entstandenen Problems annehmen, wird durch einen pädagogischen Schlussstein ergänzt. Dieser umfasst die Komplexe „Opfersituation/ Opferleid“, „Tatverantwortung und Schuldbewusstsein“, „Wiedergutmachung“ sowie die eigene psychosoziale Perspektive und führt letztendlich erst zu einer integrierten dynamischen Bewältigung beim Täter.

Die Rückmeldungen von Personen und Institutionen im Umfeld der Klienten zielen in zwei Richtungen. Einerseits stellen auch sie Verhaltensauswirkungen wie besseres Regelverhalten bzw. Sozialverhalten, weniger gewalttätiges Verhalten und andere Konfliktlösungsstrategien (89%), ein besseres Zurechtkommen oder höhere Selbstzufriedenheit beim Klienten fest. Andererseits wird von den Begleitpersonen das AAT – Angebot selbst als z.B. gut geeignetes zusätzliches Angebot für den stationären Bereich bewertet.

5. AAT/CT – Trainer Erfahrungen: Beziehungsarbeit als Basis

Die praktizierenden hier befragten 36 AAT/CT – TrainerInnen sind hauptsächlich SozialpädagogInnen, LehrerInnen und PsychologInnen in den Bereichen Schule, Kinder- und Jugendförderung, mobile Jugendarbeit, JGH, Bewährungshilfe, Erziehungshilfen (KJHG § 27 ff) und Jugendstrafvollzug. Etwa zwei Drittel sind männlicher Geschlechtszugehörigkeit. Zur Hälfte praktizieren sie ca. 2 Jahre. Zehn Personen sind mit mehr als 10 durchgeführten Kursreihen überaus erfahren. Etwa ein Drittel sind älter als 40 Jahre und lange im Berufsfeld. Die TrainerInnen selbst schätzen den Stellenwert der Methode als sehr hoch ein und berichten von intensiver Nachfrage aus ziemlich allen pädagogischen Handlungsfeldern. Die Methode wird insbesondere in Bereichen angewandt, in denen Jugendliche sonst kaum noch erreichbar sind. Es wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass sie ergänzenden Charakter für die bestehenden Angebote haben müssen und nicht isoliert oder sogar konkurrent zu diesen platziert sein sollte. Ihr werden darüber hinaus Auswirkungen auf Erziehungsverhalten auch in anderen Sequenzen konstatiert. Sie sei hoch wirksam bei aktiven Schlägern. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass konfrontative Elemente immer mit Beziehungsangeboten bzw. Beziehungsarbeit korrespondieren müssen, um erfolgreich zu sein. Insgesamt glaubt man an eine hohe Kurzzeitwirkung und ist sich auch in deren Langzeitwirkungen mittlerweile sicherer, da erste empirische Belege, auch durch eigene Beobachtungen vor Ort, vorliegen.

6. Die Richtung stimmt: AAT/CT als Teil „konfrontativer Sozialer Arbeit“

AAT und CT zählen zu den umfassend evaluierten Trainings-Programmen in Deutschland:

  1. Mit Hilfe des FAF (Fragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren) und des FPI (Freiburger Persönlichkeitsinventar) wurden in der Zeit von 1987-1991 vor und nach dem Training u.a. Erregbarkeit, Aggressivität sowie Aggressionshemmung in einer Experimental- und zwei Vergleichsgruppen in der Jugendanstalt Hameln getestet. Die Ergebnisse der Experimentalgruppe zeigten sich in den Items geringerer Erregbarkeit und Aggressivitätsabbau deutlich besser, bei der Aggressionshemmung geringfügig besser als in der nicht behandelten Vergleichsgruppe. Das Niveau durchschnittlich aggressiver, nicht inhaftierter Jugendlicher (Vergleichsgruppe II) wurde allerdings auch von den Behandelten nicht erreicht. Diese Ergebnisse korrespondieren mit einem entsprechenden pre-post-Test-Design zu einer saarländischen AAT Gruppe aus dem Jahre 1999 (Brand/Saasmann 1999) und der noch umfassenderen Vergleichsstudie von 14 AAT-Kursen (n=108) im Rahmen der Dissertation des Berliners S. Schanzenbächer (2003).
  2. Weiterhin stabilisieren sich die insgesamt positiven o.g. Wirkungseinschätzungen über diese nunmehr seit drei Jahren regelmäßig durchgeführte Evaluation. Eine nach wie vor intensive Nachfrage sowohl von Institutionen nach Trainingsplätzen als auch von Fachkräften nach spezifischer Methodenausbildung, die Implementierung in die hochschulbezogene Ausbildung von SozialpädagogInnen an mittlerweile zahlreichen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften,  weisen auf ein zunächst vielleicht pragmatisch orientiertes, nun aber auch inhaltliches Umdenken im Umgang mit gewaltaffinen Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden hin.
  3. Dabei leitet sich ein anderer ebenso wichtiger Entwicklungsimpuls aus der fachlichen Diskussion zum Thema der pädagogischen Handlungsstile ab. Allein schon die Begrifflichkeit eines „konfrontativen“ Umgangs löst in der bundesdeutschen „pädagogischen Landschaft“ Neugier aus (vgl. Colla/Scholz/Weidner 2001). Offensichtlich emotionalisiert allein schon der Gedanke, dass konfrontative Elemente wieder vermehrt zum Reaktions- und Aktionsinventar von Pädagogen gehören könnten (zur Kritik vgl. Kunstreich 2000/ Scherr 1998), ein für zahlreiche junge, gerade in Ausbildung befindliche KollegInnen übrigens relativ selbstverständlicher Gedanke. Wenn umgekehrt gerade solche Jugendliche, denen konfrontative Elemente im eigenen Verhaltensrepertoire nicht fremd sind, von diesem pädagogischen Stil auch noch beeindruckt sind, schließt sich ein produktiver Kreis.
  4. Es bleibt zu resümieren: Es liegen mittlerweile 15-jährige Praxiserfahrungen in Deutschland mit dem AAT/CT vor.  AAT/CT werden derzeit in unterschiedlichsten sozialpädagogisch – psychologischen Bezügen praktiziert. Theoretische Grundlagen, Methodik, Curriculum und Praxis wurden im gesamten Zeitraum dokumentiert und der Fachöffentlichkeit transparent gemacht. Seit seiner Einführung wird das AAT evaluiert. Um eine qualitativ seriöse Arbeit zu sichern,wurden unter Federführung des Instituts für Sozialpädagogik und Sozialarbeit, Frankfurt/Main (ISS), in Zusammenarbeit mit dem Forschungsschwerpunkt „Aggressive Lebenswelten“ der HAW Hamburg, Qualitätsstandards entwickelt. Eine zweijährige berufsbegleitende Zusatzausbildung am ISS vermittelt nicht nur diese Standards, sondern auch, dass erfolgreiche Gewaltprävention ein wichtiger Beitrag zum aktiven Opferschutz ist.

Dafür lohnt es sich zu engagieren!

Literatur:

Böhnisch,L. Sozialpädagogik der Lebensalter, Weinheim, München 1997
Brand,M./Saasmann,M. Anti-Gewalt-Training für Gewalttäter, in: DVJJ-Journal 4/1999:419-425
Colla,H./Scholz,C./Weidner,J.(Hg.) Konfrontative Pädagogik – Das Glen Mills Experiment. Forum Verlag, Bad Godesberg 2001
Galuske,M. Methoden der Sozialen Arbeit, Weinheim, München 1998
Heilemann,M. Geschichte des Antagonisten-Trainings, in: Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 43: 331-336
Kilb, R./ Weidner, J. Eine neue Methode im Aufwind ?, in: Sozialmagazin 1/2000
Kunstreich, T. Aktionsprogramme – Erfahrungen, Probleme und Einsichten, antiGEWALTiges training. In: Sozialextra Heft 5/6, Wiesbaden 2000
Ohlemacher,T.u.a. Anti-Aggressivitäts-Training und Legalbewährung, in: Bereswill,M. (Hg.): Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung. NOMOS Verlag 2001
Schanzenbächer,S. Zwischenergebnisse zu einer Wirkungsforschung über das Anti-Aggressivitäts-Training, in: Weidner,J./Kilb,J./Jehn,O.(Hg.): Gewalt im Griff, Bd.III, Weinheim 2003, S. 102ff.
Scherr,A Gefährliche Schläger. Anmerkungen zum neuen Realismus im Diskurs der Sozialen Arbeit. In: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau, H. 37,1998
Weidner,J./Kilb,R./Kreft,D:(Hg.) Gewalt im Griff. Weinheim 1997 (3. Aufl.)
Weidner ,J. Anti-Aggressivitäts-Training für Gewalttäter. Bonn 1993

 

Zu den Autoren:

Dr. phil. Rainer Kilb, 49, Diplompädagoge, Professur an der HAW Koblenz, Fachbereich Sozialwesen, ehem. wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main (ISS)
Prof. Dr. phil. Jens Weidner, 44, Erziehungswissenschaftler, Kriminologe, Management-Trainer und Buchautor. Lehrt an der HAW-Hamburg, in Frankfurt/Main und Zürich

Quelle:

Sozialextra 2002