Evaluation zu den deutschlandweit 18 AATs & CTs durch das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS), Frankfurt am Main, 2000.

„So hat noch nie einer mit mir gesprochen……“

Eine erste Auswertung zu Möglichkeiten und Grenzen des Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Trainings

Rainer Kilb / Jens Weidner
aus: DVJJ-Journal 4/2000, S. 379-384


Anti-Aggressivitäts-Trainings (AAT) und Coolness-Trainings (CT) basieren auf einem lerntheoretisch-kognitiven Paradigma. Die lerntheoretische Aspekte konzentrieren sich auf den konkreten Umgang in Konfliktsituationen, etwa im Rahmen von individuellen Provokationstests oder bei der Analyse von Aggressivitäts-Auslösern (angelehnt an die systematische Desensibilisierung). Die kognitive Perspektive zielt auf eine Einstellungsveränderung der Gewalttätigen insbesondere in Bezug auf Opferempathie ab.

In Deutschland wurde das AAT 1986 durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Leitung Dr. Heilemann) implementiert. Den Auftrag erhielt die AG durch den seinerzeit Ltd. Regierungsdirektor der Jugendanstalt Hameln, Dr. Bulczak, in Abstimmung mit dem niedersächsischen Justizministerium. Zentrale curriculare Behandlungsbausteine waren und sind: Ideal- und Realselbst der Gewalttätigen, deren Rechtfertigungsstrategien (Neutralisierungen), die individuellen Aggressivitätsauslöser, die Opferperspektive, die individuellen Provokationstests, der Einfluß der Subkultur, Aggressionsverstärkungen durch Instanzen sozialer Kontrolle (vgl. Weidner 1993, Weidner/ Kilb/ Kreft 1998, Heilemann 1994). Zentraler methodischer Zugang sind ein konfrontativ-provokativer Gesprächsstil, incl. des sogenannten ‚heißen Stuhls‘ auf der Basis einer tragfähigen Beziehung.

Die Erstausrichtung des AAT’s auf den geschlossenen Jugendvollzug in den achziger Jahren, hat sich zwischenzeitlich stark in den ambulanten und auch nicht-justiziellen Berich erweitert:

  1. Im JGG-Bereich, in der Bewährungshilfe und den sozialen Trainingskursen, im Umfeld des Täter – Opfer – Ausgleichs und sonstigen Arbeitsfeldern der Jugendgerichtshilfe.
  2. Im Jugendhilfebereich in der Jugend- und Jugendsozialarbeit, der aufsuchenden Jugendarbeit/Streetwork, der Hortarbeit sowie im ambulanten und stationären Bereich von Hilfen zur Erziehung (§ 27 ff KJHG).
  3. Im schulischen Bereich.

Es besteht nun schon seit vier Jahren eine ungebrochen große Nachfrage am Erlernen dieser beider Methoden. Mittlerweile sind ca. 60 Sozialpädagogen, Psychologen und Lehrer als AAT/CT – TrainerInnen zertifiziert,  Nach den Qualitätsstandards, die für eine zweijährige berufsbegleitende Fortbildung im ISS Frankfurt am Main entwickelt wurden die meisten von ihnen praktizieren die Methode in ihren jeweiligen beruflichen Arbeitsfeldern. Sie werden aber auch häufig aus anderen Arbeitsbereichen angefragt, so dass sich die Transferfrage immer wieder neu stellt. 40 weitere Pädagogen befinden sich derzeit in Ausbildung. Seit Einführung der Methode ist die interessierte Fachöffentlichkeit bis heute in zwei Lager gespalten: Innerhalb einer tendenziell ablehnenden bis skeptischen Position glaubt man eher nicht an eine Übertragbarkeit der teilweise angelsächsisch geprägten kulturellen Elemente in eine deutsche oder westeuropäische Version bzw. wertet die dem Verfahren inhärenten tribunalartig – konfrontativen Aspekte als kontraproduktiv für den (Re)Sozialisierungsprozess der Klienten. Die entgegengesetzte Position sieht in der Methode „den Königsweg“ für sich, um aus pädagogischen Stagnationsphasen herauszukommen. Die sehr zahlreichen und differenzierten Zwischennuancen werden im Kontext der Evaluationsergebnisse thematisiert.

Irritationen

Wir gehen bei der Einführung dieser Methode bewusst nicht den schlichten Weg, dass wir über eine Ansammlung von Erfolgsmeldungen deren generelle Wirksamkeit nachzuweisen gedenken. Dazu sind die biographisch-lebensweltlichen Einflussvarianten in jugendlichen Risikosituationen viel zu komplex, um einen einzelnen Faktor nach relativ kurzer Anwendungs- und Beobachtungszeit zu favorisieren. Wir glauben aber jetzt schon auf der Ebene der Metadiskussion einen Indikator für einen zumindest grundsätzlichen Diskussionsbedarf genereller pädagogischer Interventionstechniken identifizieren zu können: Wenn Jugendliche nach Abschluss des Trainings nahezu übereinstimmend davon berichten, dass „so mit ihnen noch nie gesprochen und gehandelt“ wurde, dass sie gelernt haben, sich ihrer Tatverantwortung bewusst zu werden, diese zu übernehmen, dann sind allein diese Argumente schon ein deutlicher Hinweis auf offenbar fehlenden pädagogischen Mut in vielen professionellen Feldern. Offenbar fehlen stark fordernde und lebensbegleitend auch kritisch und sanktionierend bewertende Elemente in der pädagogischen Beziehung nicht selten. Die Implementierung der AAT – Methode irritiert in zahlreichen Institutionen in diesem Sinne sehr deutlich und führt vermutlich perspektivisch zu einer stärkeren Wiederentdeckung kontroverser, auf Reibung angelegter pädagogischer Handlungsfähigkeit, zu mehr Mut zur Konfrontation in Situationen eklatanten Regelverstoßes und zu mehr Opferempathie als Folge des Trainings. Der pädagogischen Beziehung dürfte dies zu mehr Eindeutigkeit und zu weniger individueller strategisch optionaler Auslegbarkeit verhelfen.

Evaluation von AAT/CT und Anti-Gewalt-Training (AGT)

Gerade durch die Neueinführung der Methode ist eine gezielte wissenschaftliche Begleitung und Anwendung wichtig zur Qualitätsentwicklung und als Wirkungsanalyse. Die Auswertung wird jährlich einmal von ISS Frankfurt am Main durchgeführt. Es werden dabei nur Institutionen berücksichtigt, deren MitarbeiterInnen nach den oben angegebenen Qualitätsstandards ausgebildet sind und die sich bereit erklären, nach diesen die Maßnahmen durchzuführen. Die hier vorliegenden Daten beziehen sich auf die Strukturen im Jahre 1999. Die Evaluation umfasst vier Bereiche: Wirkungen und Qualität der Angebote, Zielgruppenprofile, Institutionelle Kontextbezüge und Professionalitäts-Dimensionen der TrainerInnen.

Anzahl, Umfang und Angebotsnachfrage

Das Anti-Aggressivitäts-Training/ Coolness-Training befindet sich in seiner praktischen Anwendungsdimension immer noch in der Einführungsphase. Zwar können etwa 15% der Projekte auf größere Erfahrungswerte verweisen (mehr als 10 durchgeführte Kurse) aber gerade auch das Schwergewicht an durchgeführten Informationsveranstaltungen (54) und Multiplikatorenschulungen (10) mit mehr als 1100 TeilnehmerInnen belegen das zur Zeit noch große Missverhältnis zwischen Nachfrage- und Angebotssituation. Im Bereich der Prävention – zumeist im schulischen Bereich – wurden 1999 insgesamt 11 Coolness-Trainings mit 135 TeilnehmerInnen, im Bereich der sekundären Prävention 7 AAT und 4 AGT – Maßnahmen mit 65 Teilnehmern durchgeführt. Insgesamt wurden damit 200 Jugendliche in ganz verschiedenen pädagogischen Settings mit dieser Methode betreut.

Struktur der Klientel, Hintergründe der Maßnahme, Zugänge der Maßnahme

Auffallend bei der Klientelstruktur ist die mit 89% absolute Dominanz junger Männer. Im Bereich von AAT/AGT – Anwendung bestehen die Teilnehmergruppen ausschließlich aus männlichen Personen. Hier stellt sich die Frage, ob diese Struktur der Täterzielgruppe repräsentativ entspricht oder ob die konfrontative Methodik in den Maßnahmen eine betont männlichkeitsorientierte Form darstellt, die für weibliche Klienten inadäquat ist. Betrachtet man die Teilnehmer nach Altersgruppen, so dominieren beim Coolnesstraining Kinder (bis 14 Jahre), bei der AAT/AGT – Anwendung die älteren Jahrgänge. Beim AAT/AGT bilden mit 46% die 18-20Jährigen und mit 31% die 14-17Jährigen die größten Gruppen.

Insgesamt 36% der Klientel sind nicht deutscher Staatsangehörigkeit, 5% stellen die aus Osteuropa immigrierten Aussiedlerdeutschen. In der AAT/AGT – Anwendung bilden in der Altersgruppe der 21 – 27Jährigen die ausländischen Jugendlichen mit 56% mittlerweile die Mehrheit. Die TeilnehmerInnen sind von ihrem schulischen und beruflichen Status her breit gestreut. Es dominieren Hauptschüler (36%) vor Grundschülern (30% ausschließlich Coolnesstraining), Gymnasiasten (11%), Sonderschüler (9%), Auszubildende und Arbeitslose (jeweils 7%). Im Vergleich zur gesamtgesellschaftlichen Streuung sind Haupt-, Grund- und Sonderschüler, Azubis und Arbeitslose über-, Gymnasiasten, Realschüler und Berufstätige (3%) unterrepräsentiert.

Hintergründe einer Maßnahme waren bei 65% (n = 104) ein Straftatbestand wegen körperlicher Gewaltanwendung, bei 20% sonstige Straftaten wie Erpressung, Raub und Ähnliches und bei weiteren 16% unsoziales Verhalten in einer Institution.

Die AAT/AGT/CT – Maßnahmen werden von 15% der Teilnehmer aus eigenem Antrieb heraus gewählt. Der bei weitem größte Zugang erfolgt über richterliche Auflagen (56%); es folgen Zugänge über die eigene Institution (15%), über Maßnahmen der Erziehungshilfe nach KJHG § 27 (6%) oder über Anfragen anderer Institutionen (5%).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die TeilnehmerInnen des eher präventiven Coolnesstrainings jünger und geschlechtergemischter darstellen. Die AAT/AGT – Klienten sind ausschließlich männlichen Geschlechtes, älter, gehören eher schlechter ausgebildeten Milieus an und sind nicht primär motiviert, mit dem AAT zu beginnen, sondern werden meist über eine richterliche Auflage an die Maßnahmenträger vermittelt.

Institutionelles Umfeld

Die Maßnahmen werden zu etwa jeweils der Hälfte von öffentlichen und von freien Trägern angeboten, vereinzelt auch von selbständigen TrainerInnen oder Kleinteams. Sie werden häufig in der eigenen Einrichtung (80%) weniger oft extern durchgeführt. Angebotsort, Setting und institutioneller Kontext sind breit gestreut. Es dominieren gering die Anwendung innerhalb sozialer Trainingskurse (25%), der Jugendgerichtshilfe (19%), der Schule und Bewährungshilfe (jeweils 13%). Weitere Anwendungsbereiche stellen Jugendhäuser, mobile Jugendarbeit, Erziehungshilfemaßnahmen ambulanter und stationärer Art (13%) sowie JVA und Jugendberufshilfe dar. Die Maßnahmen sind jeweils zur Hälfte direkt oder im Randbereich oder anderen Handlungsfeldern plaziert oder aber sie finden in einem ganz eigenen institutionellen Rahmen statt. Die anfängliche Skepsis gegenüber ihrer Implementierbarkeit in bestehende Institutionen und Systeme findet sich in den Ergebnissen nicht bestätigt. 90% der AnwenderInnen charakterisieren diese als gut integrierbar. Nur in einem Fall ist sie als „Fremdkörper“ isoliert.

Angebotsqualität, Abbrüche, Wirkungsindikatoren

Coolnesstraining, AAT und AGT – Maßnahmen umfassen Stundenkontingente zwischen 36 (CT) und 110 (AAT) Kursstunden mit Häufungen beim AAT bei einem Umfang von 100 Stunden, beim AGT von 69 Stunden und beim Coolnesstraining von 40 – 50 Stunden. Die durchschnittlichen Teilnehmerzahlen der in Gruppenform durchgeführten Angebote orientieren sich zwischen 7,25 beim CT, über 6 beim AGT hin zu 5 – 6 beim AAT. Die Abbruchquoten pendeln sich bei etwa 20% der Teilnehmer von AAT’s und AGT’s ein. Die Gründe für Abbrüche häufen sich im motivationalen Bereich und damit vermutlich in Verbindung stehend bei Regel- und Abspracheverletzungen. Ansonsten spielen eher individuelle Aspekte wie etwa mangelnde kognitive Fähigkeiten, das Gefühl des „Nicht-Ertragen-Könnens“ oder aber erneute Straffälligkeit, Bewährungswiderruf oder Nichterfüllen einer sonstigen Auflage eine Rolle.

Definition von Erfolgskriterien

Die zertifizierten TrainerInnen definierten für die diversen Anwendungsfelder verschiedene Kategorien von Erfolgskriterien, die sich nach den 3 klassischen Qualitätsdimensionen von Ergebnisqualität, Struktur- und Prozessqualität differenzieren lassen. Im Bereich der ergebnisbezogenen Qualität (outcome) werden als Erfolgskriterien genannt:

  • Reduzierung gewalttätig-aggressiven Verhaltens (Reduzierung von Körperverletzungsdelikten)
  • Gehäuftes Anwenden friedlicher Konfliktlösungsstrategien
  • Gewaltfreier Umgang in Stresssituationen
  • Distanzierung von Schlägergruppierungen
  • Bessere Gruppenkohäsion in Schulklassen (CT)

Im Zusammenhang der Prozessgestaltung und Maßnahmendurchführung werden folgende Qualitätskriterien beschrieben:

  • Einsicht in die eigenen Konfliktanteile
  • Verantwortungsübernahme bei der Tat
  • Entwicklung von Opfermitleid und Scham/Empathiefähigkeit
  • Prozessuale Verhaltensänderungen
  • Nutzenanalyse
  • Wandlung von sekundärer Motivation hin zur Selbstmotivation
  • Durchhalten zweier „Heißer Stühle“
  • Bewährungserhalt (§ 57 JGG)
  • Regelmäßige Teilnahme und Beendigung

Zuletzt wurden noch strukturelle Qualitätskriterien ergänzt wie etwa ein funktionierendes Trainer-/Cotrainerteam.

Nahezu sämtliche augenblicklich praktizierende Angebotsträger führen, entsprechend der von ihnen benannten qualitativen Kriterien, Recherchen zu den Wirkungen der Trainingsmaßnahmen durch. Die dabei am häufigsten verwendete Form sind regelmäßige Gespräche mit klientennahen Begleitpersonen wie den Eltern, Sozialarbeitern oder Lehrern (82%). Hierzu wird schon im Vorfeld der Maßnahme bei der Vertragsgestaltung zwischen Maßnahmeanbietern und Klient auf eine Schweigepflichtsentbindung hingearbeitet. In zwei Drittel der Maßnahmen werden regelmäßig Gespräche mit den Teilnehmern nach Trainingsablauf durchgeführt (64%). In 55% der Fälle finden gezielte Beobachtungen der Klienten in der Folgezeit statt und bei etwa einem Drittel werden Rückmeldungen mit Hilfe eines Fragebogens eingeholt (36%). Insgesamt führen sämtliche Projekte Wirkungsrecherchen durch, was für deren Offenheit und Entwicklungsbereitschaft spricht.

Rückmeldungen zum Stellenwert der Maßnahme

Die Rückmeldungen, die von den Klienten sowie deren sozialen und institutionellen Umfeld eingeholt wurden, lassen sich auf die von den TrainerInnen definierten Erfolgskriterien direkt beziehen. Die Klientenrückmeldungen zielen einerseits auf die primären Wirkungsziele (outcome) einer Verhaltensänderung, das heißt sie melden häufiger zurück, sie seien weniger reizbar und eher selbstbeherrscht (55%), sie könnten sich besser in Konflikten steuern (27%) oder sie verfügten über alternative Verhaltensmöglichkeiten in Stresssituationen; weniger Ärger mit Polizei und Justiz (18%), bessere Einbindung in die eigene Familie, größere Anerkennung im Umfeld folgen als Angaben zu sekundären Wirkungseffekten. Das Training zwinge zum Nachdenken, es sei eine Art Selbsterfahrung, man erinnere sich häufig zurück aber auch das Eingeständnis, dass man ohne (vom Richter) gezwungen worden zu sein, nicht mitgemacht hätte, waren andere Rückmeldungen. Die Aussage eines Jugendlichen „so hat noch nie einer mit mir geredet“, die einen Gesamttenor der jugendlichen Rückmeldungen widerspiegelt, ist in zwei Richtungen hin deutbar:

  1. Die Form, wie mit den Jugendlichen „geredet“ wird, besitzt für sie offensichtlich einen wichtigen Stellenwert. Es erscheint dabei paradox, wenn auf die Einzigartigkeit dieser Anspracheform in Bezug auf ein Verhalten seitens des Klienten hingewiesen wird, was in der Regel demütigender, körperlich wie psychisch meist stark beschädigende Auswirkungen auf das jeweilige Opfer hatte. Jugendliche haben offensichtlich auch professionelle pädagogische Reaktionen bisher als eher gleichgültig erlebt.
  2. Die Aussage wäre darüber hinaus im Sinne eines verantwortlichen Umgangs der TrainerIn mit dem Täter zu interpretieren. Der Täter fühlt sich ernst genommen, in seiner Person deshalb akzeptiert, weil der TrainerIn seine Tat eben nicht gleichgültig ist. Die übliche Reaktionspalette auf eine Gewalttat, nämlich dass die Eltern meist Angst vor den Tatfolgen für ihren Sohn äußern, die jugendlichen Freunde und Täter selbst eher sauer auf den Prozess der Anzeige und des gerichtlichen Verfahrens sowie darüber hinaus teilweise aggressiv auf das Opfer als Initiator der Anzeige reagieren und zuletzt zahlreiche Sozialpädagogen sich des dann entstandenen Problems an sich annehmen, wird durch einen pädagogischen Schlussstein ergänzt. Dieser umfasst den Komplex Opfer – Schuldbewusstsein – Wiedergutmachung – eigene psychosoziale Perspektive und führt letztendlich erst zur integrierten dynamischen Bewältigung bei Täter und Opfer und deren „Beziehung“.

Die Rückmeldungen von Personen und Institutionen im Umfeld der Klienten zielen in zwei Richtungen. Einerseits stellen auch sie Verhaltensauswirkungen wie „besseres Regelverhalten“ bzw. Sozialverhalten (45%), weniger gewalttätiges Verhalten und andere Konfliktlösungsstrategien (55%), ein besseres Zurechtkommen oder höhere Selbstzufriedenheit beim Klienten fest. Andererseits wird von den Begleitpersonen das AAT/AGT – Angebot selbst als z.B. gut geeignetes zusätzliches Angebot für den stationären Bereich bewertet.

Einschätzungen und Erfahrungen in der Anwendung der Methode durch die AAT/CT – Trainer selbst

Die praktizierenden hier befragten 15 AAT/CT – TrainerInnen sind hauptsächlich Sozialpädagogen in den Bereichen Jugendförderung, JGH, Bewährungshilfe und Erziehungshilfen (KJHG § 27 ff). Die große Mehrheit sind männlicher Geschlechtszugehörigkeit (14), je etwa zur Hälfte praktizieren sie mehr oder weniger als 2 Jahre. Zwei Personen sind mit mehr als 10 durchgeführten Kursreihen schon überaus erfahren. Etwa zwei Drittel sind älter als 40 Jahre und schon recht lange im Berufsfeld. Die TrainerInnen selbst schätzen den Stellenwert der Methode nach wie vor als sehr hoch ein und berichten von intensiver Nachfrage aus ziemlich allen pädagogischen Handlungsfeldern. Die Methode wird insbesondere in Bereichen angewandt, in denen Jugendliche sonst kaum noch erreichbar sind. Es wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass sie ergänzenden Charakter für die bestehenden Angebote haben müssen und nicht isoliert oder sogar konkurrent zu diesen plaziert sein sollte. Ihr werden darüber hinaus Auswirkungen auf Erziehungsverhalten auch in anderen Sequenzen konstatiert. Sie sei hoch wirksam bei aktiven Schlägern. Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass konfrontative Elemente immer mit Beziehungsangeboten bzw. „Beziehungsarbeit“ korrespondieren müsse, um erfolgreich zu sein, was sich sicherlich auch umgekehrt behaupten ließe. Insgesamt glaubt man an eine hohe Kurzzeitwirkung und war sich in der Langzeitwirkung wegen fehlender empirischer Belege noch unsicher. Seit August 2000 liegt hierzu die auf 10 Jahre angelegte Rückfall-Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Hannover (siehe unten) vor.

Die Methode wurde vielfältig weiterentwickelt. Insbesondere werden theater- und erlebnispädagogische sowie Elemente der Körperarbeit und des Psychodramas in die Anwendung einbezogen. Der Rahmen wird der jeweiligen Zielgruppe angepasst. Vor- und Nachbereitung bzw. Nachbetreuung bilden zunehmend wichtigere Transferziele ab. Es gilt im Vorfeld der Maßnahme präziser zu klären, wer wirklich dafür infrage kommt und es wird über die Nachbetreuung eine nachhaltige Wirkung angestrebt.

Zusammenfassung und Ausblick

Ambivalenter fachlicher Diskurs und nicht-ambivalente Forschungsergebnisse
Den Anti – Aggressivitäts – Trainings (AAT) ergeht es wie jeder neu eingeführten Methode. Es steht einerseits unter einem zunächst überhöhten Erwartungsdruck, was wiederum die Unzufriedenheit mit den praktizierten traditionellen Methoden ausdrückt. Der hohe Erwartungslevel ermöglicht dabei eine recht große Breite von Anwendungserfahrungen, erschwert aber andererseits, dass man sich ausreichend Zeit nimmt für die Implementierung der Methode und den reflexiven Umgang besonders in dieser ersten experimentellen Phase. Es besteht somit objektiv die Gefahr einer zu breiten und zu raschen Entwicklung hin zur „Regelmethode“ die auf Kosten einer zielgenauen Einpassung und des qualitativ wertvollen Einsatzes gehen könnte. Produktiv bremsend wirkt hierbei sicherlich die gar nicht geringe Anzahl skeptischer Positionen, die in der Einführung dieser Methode eine Renaissance autoritärer und repressiver Pädagogik vermuten, die auf kurzfristige und oberflächliche Wirkungen ziele. Hier stehen sich also zunächst einmal zwei diametrale Hypothesen gegenüber. Diese Skepsis scheint solange berechtigt, wie es keine fundierten empirischen Belege zur Verifizierung der gegenteiligen Behauptung gibt. Diese liegen aber nun vor:

  1. Erste Auswertungen innerhalb der Rückfall-Forschung zum AAT (von 1987-1997 an 74 behandelten Mehrfachgewalttätern) durch das kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) im Bereich des Hamelner Jugendvollzugs belegen eine einschlägige Rückfallhäufigkeit von 37% der AAT behandelten Gewalttäter. Positiv ist zudem, daß von den 37% Rückfällen 53% deliktschwächer geworden sind (vgl. Ohlemacher 2001). D.h. 63% der behandelten Gewalttäer wurden nicht mehr einschlägig rückfällig. Eine erfreuliche Zahl, die allerdings nicht nur durch das AAT erreicht wird. Das KFN erstellte diesbezüglich eine Kontrollgruppe von nicht AAT behandelten Hamelner Gewalttätern, die auch in Ausbildung und Schule integriert waren, u.a. auch in andere deliktspezifischen Maßnahmen der JA Hameln, wie der Sozialtherapie (Leitung Psych. Weiß), dem Gesprächskreis Tötungsdelikte (Psych.Waldschmidt) und der Abteilung für besondere Betreuung und Sicherung (Leitung Pych. Dr. Otto). Die Rückfallzahlen dieser Kontrollgruppe decken sich mit den o. g. Zahlen der AAT – Probanden. Bezogen auf das AAT heißt dies, daß das AAT dieselben soliden Rückfallzahlen erreicht wie andere deliktspezifische Maßnahmen zum Abbau der Gewaltbereitschaft (u.a. sind diese Zahlen fast deckungsgleich mit den Ergebnissen der US-Glen Mills Schools für Gangschläger, vgl. Colla/Scholz/Weidner 2001). Überlegen ist das AAT diesen Maßnahmen allerdings nicht !
  2. Mit Hilfe des FAF (Freiburger Aggressions-Fragebogen) und des FPI (Freiburger Persönlichkeitsinventar) wurden in der Zeit von 1987-1991 vor und nach dem Training Erregbarkeit, Aggressivität sowie Aggressionshemmung in einer Experimental- und zwei Vergleichsgruppen in der Jugendanstalt Hameln getestet. Die Ergebnisse der Experimentalgruppe zeigten sich in den Items geringerer Erregbarkeit und Aggressivitätsabbau deutlich besser, bei der Aggressionshemmung geringfügig besser als in der nicht behandelten Vergleichgruppe. Das Niveau durchschnittlich aggressiver, nicht inhaftierter Jugendlicher (Vergleichsgruppe II) wurde allerdings auch von den Behandelten nicht erreicht. Diese Ergebnisse korrespondieren mit einem entsprechenden pre-post-Test-Design zu einer saarländischen AAT Gruppe aus dem Jahre 1999/2000. D.h. auch eine kurzzeitig anhaltende Wirkung kann sekundäre Impulse auslösen, die wiederum positiven Einfluss auf persönliche Entwicklungsfaktoren insgesamt ausüben können. Daraus lässt die Neugier auf eine weitere experimentelle Fortführung begründen (vgl. Weidner 1993, Wolters 1992 , Brand 1999).

Paradigmenverschiebung in der Pädagogik?

Ein anderer ebenso wichtiger Entwicklungsimpuls leitet sich aber aus der fachlichen Diskussion zum Thema pädagogischer Handlungsstile ab. Zumindest eine erhebliche Irritation wird durch die Präsenz der Begrifflichkeit einer „konfrontativen Pädagogik“ ausgelöst, die es als solche ausformuliert noch nicht gibt. Daher arbeitet derzeit ein Autorenteam unter der Leitung des Forschungsschwerpunktes ‚Aggressive Lebenswelten‘ der FH-Hamburg und dem Institut für Sozialpädagogik der Universität Lüneburg an einem erziehungswissenschaftlichen Fachbuch, um theoretische und praktische Aspekte einer zu bestimmenden ‚konfrontativen Pädagogik‘ zu verorten. Erste Ergebnisse werden Anfang 2001 vorgelegt (Colla/Scholz/Weidner 2001). Offensichtlich wirkt aber allein schon der Gedanke, dass konfrontative Elemente – und nichts als diese subsummieren sich unter der Begrifflichkeit „konfrontativer Pädagogik“ – wieder vermehrt zum Reaktions- und Aktionsinventar von Pädagogen gehören sollten, für zahlreiche Kollegen überaus provozierend. Wenn umgekehrt gerade solche Jugendliche, denen konfrontative Elemente im eigenen Verhaltensrepertoire nicht fremd sind, von diesem pädagogischen Stil beeindruckt sind, so stellt sich natürlich spätestens im Umgang mit dieser Zielgruppe die Frage des adäquaten pädagogischen Umgangs bei den Pädagogen, die solche Stilelemente entweder selbst nicht beherrschen oder denen vielleicht schlicht der Mut dazu fehlt, diese in ganz bestimmten Situationen gezielt einzusetzen. In den Ausbildungsreihen zum AAT – Trainer ist eher der erste Personentypus zu identifizieren.

Die Notwendigkeit zur Erweiterung pädagogischer Aktions- und Interventionsstrategien hat sich dabei meist nur in der akademischen Diskussion gestellt, weil dort häufig die Präsenz konfrontativer Elemente geleugnet wurde. In Wirklichkeit ist davon auszugehen, dass diese Elemente schon immer Teil des pädagogischen Handlungsrepertoires waren, aber von zahlreichen KollegInnen nicht mehr zielgenau beherrscht wurden.

Methode für männliche Tätergruppen?

Die Tatsache, dass bisher keine oder kaum Mädchen und junge Frauen an den AAT’s/AGT’s als Probanden teilnahmen, muss nicht bedeuten, dass sich die Methode für GewalttäterInnen nicht eignet. Zunächst einmal ist die Anzahl von verurteilten Mädchen und jungen Frauen, die gewalttätig geworden sind sehr viel geringer als bei jungen Männern, so dass viel unwahrscheinlicher ist, dass Frauen bei diesem Angebot überhaupt als Klient in Erscheinung treten. Sporadisch auftretende aggressive Mädchengangs, wie die (bereits wieder aufgelösten) norddeutschen ‚Killerflittchen‘ sind da nur die Ausnahme von der Regel.

Allerdings stellt sich auch die Frage, ob die Technik des „Heißen Stuhls“ kommunikationskulturell nicht eher den typisch männlichen Ritualen des Anmachens, Provozierens oder auch des weiblichen Umgangs mit männlicher Gewalt (moralische Kategorien, Opferempathie) durch TrainerInnen, die die Rolle einer urteilenden „strengen Frau“ übernehmen, entspricht. Es gibt zahlreiche Erfahrungen im Zusammenspiel weiblicher AAT – Trainer und männlicher Klienten aber kaum Erfahrungen zwischen weiblichen oder männlichen Trainern und weiblichen Probanden.

Neue Besen kehren gut?

Nahezu jede methodische Neueinführung erweckt ein besonderes Interesse, vor allem wenn diese unkonventionelle Formen wie die des „Heißen Stuhls“ einschließt. Eine solche Aufmerksamkeit besitzt an sich häufig schon zumindest die Wirkung für Pädagogen, gerade in der ersten Phase ihrer Anwendung sehr strukturiert und reflektierend damit umzugehen, vielleicht auch zunächst etwas unsicher zu verfahren. Für Jugendliche kann die neue Rolle des Pädagogen durchaus dann interessant sein, sobald hierbei Rollenanteile auftauchen, die in dieser Form zuvor nicht zur Anwendung kamen. Neben dem „Kitzel oder „thrill“ des „Heißen Stuhls“, besonders beim ersten Kennenlernen, dürfte aber das entlastende Gefühl nach einer „kollektiv“ erlebten moralischen Verurteilung eigener Taten sowie die im Umfeld des „Heißen Stuhls“ vermittelten Umgangsmöglichkeiten mit ehemaligen Opfern als Bereicherung für Jugendliche hinzukommen. Wie bei jeder neuen Methode kommt es auch beim AAT/CT darauf an, diese in ihrem ganz besonderen Status, gleichermaßen als letzte Stufe vor den juristisch repressiven oder institutionell segredierenden Reaktionsvarianten zu plazieren. Diese Besonderheiten gilt es zu erhalten, um einem Verschleiß und einer Wahrnehmung zum Gewohnheitsritual vorbeugen zu können.

Erweiterte Einsatzfelder

Neben den klassischen Anwendungsfeldern der Jugendkriminalrechtspflege bieten sich Einsatzmöglichkeiten insbesondere in den Feldern von Schule und Jugendhilfe sowie im betrieblichen Bereich an. Im schulischen Bereich sollte Coolness-Training zum präventiven Set gehören und das AAT neben Deeskalationsverfahren und Mediationstechniken zum methodischen Inventar der Institution zählen. Das AAT sollte dabei die letzte Stufe vor einem Schulverweis darstellen. Dabei muss nicht jede Lehrkraft über seine Anwendungskompetenz verfügen, sondern ein kleineres Lehrerteam kann hierfür eingesetzt werden.

Im Jugendhilfebereich liegen die klassischen Einsatzfelder in den Bereichen mit eindeutigen und klaren Strukturen wie dem der stationären Unterbringung im Heimen und Wohngruppen (§ 34 KJHG) und der Tagesgruppe (§ 32). Das AAT könnte aber auch gezielt über eine Ausweisung innerhalb der Hilfeplanung (nach § 36) für die soziale Gruppenarbeit (§ 29) oder auch in Verbindung mit einer intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung (§ 35) eingesetzt werden, wenn es darum ginge, gewaltaffines Verhalten innerhalb einer solchen Maßnahme zu thematisieren.

Darüber hinaus findet es in den Bereichen der Jugendsozialarbeit (§ 13), hier insbesondere in der Mobilen Arbeit mit Cliquen sowie in der schul- und ausbildungsbezogenen Sozialpädagogik, und in den Feldern der Jugendarbeit und im Hort Anwendung.

Es bleibt zu resümieren: Es liegen mittlerweile 13-jährige Praxiserfahrungen in Deutschland mit dem AAT vor. Das AAT wird derzeit in über 20 Städten in unterschiedlichsten sozialpädagogisch – psychologischen Bezügen praktiziert. Theoretische Grundlagen, Methodik, Curriculum und Praxis wurden im gesamten Zeitraum dokumentiert und der Fachöffentlichkeit transparent gemacht. Seit 13 Jahren wird das AAT evaluiert, nun auch inclusive einer Rückfall-Forschung, die einen 10-jährigen Untersuchungszeitraum erfasst. Um eine qualitativ seriöse Arbeit zu sichern wurden unter Federführung des Instituts für Sozialpädagogik und Sozialarbeit, Frankfurt/Main (ISS) Qualitätsstandards entwickelt und – damit einhergehend – die Begriffe AAT/CTâ als Markenname geschützt. Eine berufsbegleitende Zusatzausbildung am ISS vermittelt diese Standards Interessierten in 1 ½ Jahren (7×3 Tage), incl. einer Praxisberatung zwischen den Seminarblöcken. Damit soll sichergestellt werden, daß die methodische Umsetzung in die Praxis höchstmöglichen seriösen Standard erreicht.

Als zukünftiges Leitmotiv von AAT/CT’s darf der Satz des Oberhausener Sozialpädagogen und AAT-Trainers R.Gall gelten: ‚Gewalttäter verstehen, aber nicht einverstanden sein !‘ Dies drückt zweierlei aus: Erstens, die Notwendigkeit des Beziehungsaufbaus und der Nähe zu den Gewalttätigen und zweitens, die Notwendigkeit, die opferverharmlosenden Tatrechtfertigungen zu erschüttern. Beides ist notwendig – vor allem: Beides ist kein Widerspruch !

Literatur:

Brand,M./Saasmann,M.: Anti-Gewalt-Training für Gewalttäter, in: DVJJ-Journal 4/1999:419-425
Colla,H./Scholz,C./Weidner,J.(Hg.): Konfrontative Pädagogik – Das Glen Mills Experiment. Forum Verlag, Bad Godesberg 2001
Heilemann,M.: Geschichte des Antagonisten-Trainings, in: Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 43: 331-336
Ohlemacher,T.u.a.: Anti-Aggressivitäts-Training und Legalbewährung, in: Bereswill,M. (Hg.): Interdisziplinäre Beiträge zur kriminologischen Forschung. NOMOS Verlag 2001
Weidner,J./Kilb,R./Kreft,D:(Hg.): Gewalt im Griff. Weinheim 1997
Weidner ,J.: Anti-Aggressivitäts-Training für Gewalttäter. Bonn 1993