Die rechtlichen Grenzen des AAT/CTs: die non-touch-Verpflichtung

Die folgenden Ausführungen orientieren sich an der Arbeit des Rechtsprofessors Hein (2006), der die rechtlichen Grenzen des AATs beleuchtet. Neben seinen rechtstheoretischen Kenntnissen greift er dabei auf seine praktischen Erfahrungen zurück, die er bei der Teilnahme an mehreren Anti-Aggressivitäts-Trainingskursen in Mainz gewinnen konnte. Dabei weist er auf folgende Punkte hin:

  • Das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht. Dazu führt Hein (2006) aus, dass es insbesondere im Rahmen der Integrationsphase problematisch ist, dass aufgrund der einschlägigen methodischen Besonderheiten häufig sowohl das Trainerteam als auch die anderen Teilnehmer ein detailliertes Wissen um weitere erhebliche (Gewalt-)Taten des jeweiligen Probanden erhalten. Der zeugenschaftlichen Einführung dieses Wissens in ein etwaiges Strafverfahren steht mangels eines einschlägigen Zeugnisverweigerungsrechts grundsätzlich nichts entgegen. Jedenfalls im Falle der gerichtlich auferlegten Teilnahme kommt zwar wegen des Verstoßes gegen den nemo-tenetur-Grundsatz auch ein Verbot der Verwertung der zeugenschaftlichen Aussage in Betracht, doch ist dieses aus Gründen der Effektivität aktueller und zukünftiger Kurse als nicht ausreichend anzusehen. Weil ein Verzicht auf die Benennung der „miesesten Taten“ und das Bekennen „neuer“ einschlägiger Vorfälle während des Kursverlaufes nicht möglich und zudem pädagogisch sinnwidrig ist, werden hier die Einführung eines originären bzw. abgeleiteten strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für die Trainer und Teilnehmer eines AATs befürwortet und entsprechende Vorschläge de lege ferenda unterbreitet.
  • Das non-touch-Gebot beim „heißen Stuhl“: Während der Konfrontationsphase könnten die Teilnehmer eines AATs in ihren Grundrechten verletzt werden. Die Veranstalter eines AATs unterliegen insofern auch sämtlich der Bindungswirkung der Grundrechte. Im Verlauf des Heißen Stuhls kommt es zwar nicht zu einer Verletzung der Menschenwürde, so Hein, doch stellen sowohl körperliche Angriffe als auch zu Zwecken der Provokation erfolgende Berührungen („Tätscheleien“) Eingriffe in das Grundrecht der Teilnehmer auf körperliche Unversehrtheit dar, für die keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ersichtlich ist. Auch ein eventueller Grundrechtsverzicht wäre hier angesichts einer wenn nicht ohnehin gerichtlich auferlegten, dann doch auch sonst regelmäßig nicht völlig „freiwilligen“ Teilnahme unwirksam, da der Heiße Stuhl ein „Nadelöhr“ des Kurses darstellt und damit nicht nur als zentraler, sondern als zwingender Kursbestandteil anzusehen ist. Die beschriebenen Eingriffe in Art. 2 II 1 GG sind somit verfassungsmäßig nicht zu rechtfertigen, machen zudem eine gerichtliche Weisung unzumutbar i. S. d. §§ 10 I 2 JGG, 56c I 2 StGB und haben insofern zu unterbleiben.
  • Das Rollenspiel zur Vermittlung der Opferperspektive: Anders stellt sich die Situation während der Opfersitzung dar. Hier erfolgen im Verlauf von Rollenspielen, in denen die Probanden entsprechend geschützt einen für sie typischen Tatverlauf in der Rolle des Opfers erleben, zwar gleichfalls Eingriffe in deren Grundrecht aus Art. 2 II 1 GG, doch ist bei strikter Beachtung der Freiwilligkeit der Teilnahme an dieser Kurseinheit und Einhaltung der sonstigen einschlägigen Voraussetzungen grundsätzlich ein den Eingriff rechtfertigender Grundrechtsverzicht denkbar.
  • Die zwingende Notwendigkeit des fachlichen Problembewusstseins: Die Gefahren einer allzu sorglosen Ausweitung der Methode und eines verantwortungslosen Umgangs mit Konfrontation – so Hein – werden deutlich, doch kann diesen etwa durch ein entsprechendes Problembewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstkritik, eine hohe fachliche Qualifikation der Trainer, die fortwährende wissenschaftliche Begleitung und Fortentwicklung der Methode sowie nicht zuletzt auch durch die grundsätzliche Bereitschaft entgegengewirkt werden, die Kurse „offen“ für Interessierte und Gäste durchzuführen und so schon den etwaigen „bösen Schein“ von „Gehirnwäsche“ oder „Schwarzer Pädagogik“ zu vermeiden.

 

Heins Ergebnisse sind fester Bestandteil der berufsbegleitenden Zusatzausbildung geworden. Mit der selbstkritischen Neuorientierung soll auch der Kritik aus Fachkreisen Rechnung getragen werden. Gleichzeitig grenzt sie sich – und auch das soll hier in aller Deutlichkeit betont werden – von Polemiken ab, wie sie vom Lüneburger Devianzprofessor Plewig (2008; S.57) formuliert wurden. Dieser spricht beim AAT/CT vom „Willen brechen“, „manipulativen Charakter“, „rechtlicher Unzulässigkeit“, „Straflust, die unverkennbar sei“ und „totalitäten Zügen“. Da mir der Autor aus meiner Studentenzeit noch persönlich bekannt ist, soll an dieser Stelle keine Erwiderung auf diese Absurditäten erfolgen. Im Sinne Braithwaite kann dem Autor aber empfohlen werden, sich mit dem Begriff des reintegrative shamings, vielleicht sogar im Selbstversuch, zu befassen.